Jeder Mensch hat bestimmte Werte, die ihm wichtig sind und nach denen er lebt. In unserer Serie wollen wir euch Werte unserer Gesellschaft und unseres Zusammenlebens durch Yogaleher vorstellen. Heute mit Chris Ahrweiler und Silke Schuster vom Blog Lebensflow mit
Wertschätzung in der Yogapraxis
Hast du dich schon einmal in deiner Einstimmung auf die bevorstehende Yogastunde von einer Staubwolke oder einem Knall gestört gefühlt, weil neben dir eine Teilnehmerin oder ein Teilnehmer auf den letzten Drücker ihre/seine Matte wie einen fliegenden Teppich in die Luft geworfen hat?
So ziemlich alles was wir tun, hat irgendeinen externen Effekt – im positivem, wie im negativen Sinne: Der Krankenwagen kommt zwar mit seinem Martinshorn gut durch den Verkehr, aber den Fußgängern auf dem Bürgersteig klingeln die Ohren.
Wenn wir gemäß dem Yoga Sûtra des Patañjali im Sinne von Ahimsã (Gewaltlosigkeit) – ein Aspekt der Yamas, der ersten Stufe auf dem achtgliedrigen Yogapfad – anderen Lebewesen nicht schaden wollen, müssen wir uns der Konsequenzen unseres Handelns bewusst werden. Dazu gehört beispielsweise, dass wir aufmerksam sind und durch unser Tun andere Lebewesen – wie Teilnehmer an einem Yogakurs – nicht beeinträchtigen. Das ist eine Frage der Wertschätzung, denn es geht um die Integrität, die Unverletztheit einer anderen Person, auch wenn es sich – wie im obigen Szenario – nur um eine leichte Irritation handelt.
Wertschätzung im Handeln
Wertschätzung kommt also in unserem Handeln zum Ausdruck. Diese bezieht sich nicht nur auf andere Personen/Lebewesen, sondern auch auf uns selbst. Denn auch uns selbst sollten wir nicht schaden, beispielsweise indem wir es bei einer Asana übertreiben und uns womöglich verletzen. Darüber hinaus stärken wir mit unserer Wertschätzung das Ideal, dem wir uns verschrieben haben. Das ist sinnstiftend, denn welchen Sinn hätte es, Yoga zu praktizieren ohne Yoga zu schätzen?
An ein paar Beispielen möchten wir aufzeigen, wie Verhalten Wertschätzung zum Ausdruck bringen und auf diese Weise die eigene Yogapraxis bereichern kann:
Der große und der kleine Übungsraum
Der große Übungsraum (das „Dojo“)
Für die Yogapraxis braucht es einen Raum – im weitesten Sinne, selbst wenn wir im Freien praktizieren. Bevor wir diesen Raum betreten, ziehen wir unsere Straßenschuhe aus und zeigen damit unseren Respekt dem Ort gegenüber, an dem wir üben möchten. Wir können ihn bewusst wahrnehmen oder sogar im Stillen begrüßen, bevor wir ihn nutzen. So signalisieren wir gleichzeitig uns selbst, dass wir bereit sind, uns auf die Praxis einzulassen.
In den asiatischen Kampfkünsten ist der Übungsraum (das „Dojo“) ein Ort der Sammlung und Konzentration. Eine leichte Verbeugung gegenüber der Übungsstätte, dem Portrait des Begründers („O-Sensei“) und dem Lehrer („Sensei“) ist hier eine selbstverständliche Geste zu Beginn und am Ende einer jeden Übungseinheit, ebenso wie ein gepflegtes Äußeres und angemessene Bekleidung obligatorisch sind.
Der kleine Übungsraum (die Matte / „Tatami“)
Für unsere Yogapraxis benötigen wir eine Matte. Sie stellt unseren persönlichen „Übungsraum“ innerhalb eines größeren Raumes dar. Die Matte schützt uns, damit wir nicht rutschen und uns nicht verletzen. Die Matte gibt uns Wärme auf einem vielleicht kühlen Boden. Sie zeigt uns eine Begrenzung zur Nachbarin oder zum Nachbarn auf, sodass jede/r konzentriert in ihrem/seinen „Übungsraum“ praktizieren kann.
Wir stimmen uns auf die Yogapraxis ein, z. B. durch eine kleine Meditation. Wir installieren Rituale – das kann das OM zu Beginn der Stunde sein, ein Mantra, das Namasté, eine kleine Verbeugung am Ende der Stunde oder eine ganz individuelle Geste. Vielleicht setzen wir uns auch eine Intention für die Stunde.
Selbstwert – Welchen Umgang pflegen wir mit uns selbst (Niyama)?
Unsere Matte ist unser persönlicher Raum für die Yogapraxis. Wir bereiten ihn vor, indem wir die Matte achtsam ausrollen, uns ggf. Hilfsmittel und eine Decke bereitlegen. Wir reinigen die Matte regelmäßig, ebenso wie wir unseren eigenen Körper pflegen (zweite Stufe auf dem achtgliedrigen Pfad: Niyama/Shauca, die Reinheit).
Wir achten unsere körperlichen Grenzen und sind gut zu uns selbst. Wenn wir krank sind, schonen wir uns und beschränken uns – wenn überhaupt – auf die mentale Yogapraxis.
Diese respektvolle Aufmerksamkeit sind wir uns selbst wert!
Respekt anderen gegenüber – Wie gehen wir mit anderen um (Yama)?
Wenn wir auch hier beim Beispiel der Matte bleiben, so respektieren wir den „Übungsraum“ der anderen in einer Yogaklasse. Laufen wir beim Durchqueren des Raumes über die Yogamatte eines anderen Teilnehmers, so dringen wir im Grunde ungefragt in dessen persönlichen Raum ein.
In einem Dojo beispielsweise wäre ein derartiges Verhalten schon allein deswegen nicht denkbar, weil man sich hier i. d. R. im rechten Winkel bzw. parallel zu den Matten und niemals diagonal bewegen würde. Ebenso wird man immer einen gebührenden Abstand zu einem anderen Teilnehmer wahren. Das trifft für die Yogapraxis solange zu, bis wir vielleicht eine Partnerübung ausführen. In dem Fall gehen wir respektvoll aufeinander zu und miteinander um.
In der Regel liegt ein Yogaraum voller Matten. Zwischen den Matten sind kleine „Gassen“, durch die wir uns bewegen können. Auch wenn das Gehen auf diese Weise ein wenig Slalomcharakter bekommt, achten wir dadurch den Übungsraum derer, die schon auf ihren Matten Platz genommen haben oder noch Platz nehmen werden.
Gibt es eine Demonstration vorn im Raum, können wir den Nachbarn fragen, ob wir uns zu ihm auf seine Matte setzen dürfen. Das zeugt von Respekt und schafft Vertrauen – als würden wir zu Besuch kommen. Betritt der Yogalehrer beim Adjusten die eigene Matte, so kann das als stillschweigendes Übereinkommen gewertet werden. Denn wir gehen bewusst in diese Stunde und möchten angeleitet werden. Insofern akzeptieren wir, dass sich der Lehrer in unserem persönlichen Raum bewegt, um uns zu unterstützen.
Die aufgezeigten Verhaltensweisen beruhen zum Teil auf Beobachtungen; zum Teil haben wir die Regeln aus der Dojo-Etikette in die Yogapraxis übertragen bzw. im Yoga Sûtra verortet. Wo es im Dojo eher strenger zugeht, ist zumindest die westliche Yogawelt ziemlich bunt – dennoch oder gerade hier können wir uns von diesem wertschätzenden, achtsamen Umgang miteinander inspirieren lassen.
(© Katta Zensen photography)
Über die Autoren: Der Artikel ist eine Co-Produktion von Chris Ahrweiler und Silke Schuster. Chris ist über Ausdauer- und Kampfkunst zum Yoga gekommen. Silkes Wurzeln liegen im Tanz. Mit Yogakido entwickelt Chris ein eigenes Konzept, um Yoga durch Aspekte der Kampfkunst bewegungstechnisch und energetisch zu bereichern. Silke ist Thai Yoga Bodyworker und Gründerin von Lebensflow – Der Blog für Yoga und Lebensfreude. Beide sind ausgebildete Yogalehrer im Vinyasa Yoga nach AYA. Zum Lebensflow Blog geht es hier.
Alle bisher erschienen Beiträge zur Serie "Werte und Yoga" findest du hier.